Blogs sind ehrlich, authentisch, ungeschminkt, echt. Blogger sprechen die Sprache der Straße (Frankreich: Banlieu), dokumentieren vor Ort (London: U-Bahn-Anschläge) und sind investigativ (Jamba). Das Geburtsbett des Blogs ist das Tagebuch. Aufmerksamkeit erlangt, wer eine markante Erzählstimme und eine ganz eigene Perspektive entwickelt. Subjektiv und authentisch – das ist es, was man von einem guten Blog erwartet.
Ganz anders die Unternehmenskommunikation: moderates Agendasetting, wohlfeile Sprache, zu Tode redigierte Unternehmensaussagen. Ghostwriter, Medientraining und im Hintergrund die PR-Agentur und die Lobbyisten. Wenn der CEO oder Unternehmenssprecher den Mund aufmachen, dann ergießt sich wohltemperierte Langeweile.
Und was passiert, wenn der CEO nun bloggt? Endlich ungeschminkte Nachrichten aus dem Firmencockpit? Und ein haareraufender Unternehmenssprecher, dem die Kontrolle über seinen impulsiven Chef abhanden gerät? Wohl kaum. Blogs sind per se kein Garant für Authentizität, insbesondere nicht, wenn die Unternehmenskommunikation dieses Instrument einsetzt. Denn sie erfüllt für eine Organisation eine ganz bestimmte Funktion und dies bringt Grenzen mit sich.
Sprecher an der Spitze von Organisationen, also CEOs, Unternehmenskommunikatoren, Pressesprecher usw. zeichnen sich dadurch aus: dass sie a) immer mehr Informationen haben als sie allen Beteiligten gleichzeitig mitteilen dürfen und b) dass sie widersprüchliche Kommunikationsaufgaben unter einen Hut bringen müssen. Diese Anforderungen kommen von der Organisation und lassen die Personen „nur“ ihren Dienst tun, also ihre Funktion als Sprecher erfüllen. Die Organisation diktiert die Regeln. Das ist eine ungewohnte Sichtweise: normalerweise gehen wir ja von der konkreten Person aus, die etwas macht, sagt, verheimlicht, mauschelt, hinter dem Rücken regelt, der einen Partei schon verspricht während sie die andere noch hinhält, Optionen eröffnet, schließlich: Entscheidungen trifft. Und das alles zusammen geht nicht ohne ein Mindestmaß an Bigotterie – oder wollen wir es positiv formulieren: Diplomatie. Gerne unterstellen wir dennoch Machiavellismus. Dass das häufig zu kurz gegriffen ist, erkennen wir immer dann, wenn die Person ausgewechselt wird und sich nach kurzer Zeit mit dem Nachfolger das gleiche Spiel einstellt. Spätestens hier gilt es die Person gegenüber der Organisation in Schutz zu nehmen: die Strukturen der Organisation sind stärker als die einzelne Person. Sprechen an der Spitze verlangt also – unabhängig von der Person des Sprechers – sagen wir es mal so: ein flexibles Umgehen mit Informationen. Hier geht es um ein Sprachspiel, das nach den Regeln der Organisation gespielt wird: es ist nicht der nackte Machiavellismus, der aus ihm spricht, sondern die Organisation. Umgekehrt ist das natürlich kein Persilschein: das von der Organisation oktroyierte Doppelspiel kann (kann(!), muss nicht) durch persönliche Infamie ergänzt werden.
Was passiert also nun, wenn die Person an der Spitze bloggt? Das Medium des Blogs strahlt auf die Person ab: dem bloggenden CEO wird Authentizität unterstellt, quasi automatisch attestiert durch das Medium. Das kollidiert komplett mit den Anforderungen der Organisation an ihren bloggenden CEO. Hier kommen wir nun zur Naivität: entweder der CEO bloggt fröhlich vor sich hin, dann gibt es ein Problem mit der Organisation, die ihn schnellstmöglich versuchen wird, wieder einzufangen. Oder der CEO bloggt gemäß Organisationsauftrag – dann wird er vielleicht Aufmerksamkeit erzielen, aber eben nur begrenzt: denn die wirklich interessanten Dinge kann er nicht sagen.
Der ewige Hypokrisieverdacht für die Sprecher an der Spitze bleibt: entweder brisantes Sprechen oder mit angezogener Handbremse. Der Blog verschleiert dieses Dilemma durch seine Form: der ihm von vornherein zugestandenen Authentizität. Deshalb mag ein Blog für den CEO vielleicht eher ein Instrument in der internen Kommunikation sein, z.B. für den obersten (weltweiten) Führungskreis. Hier kann er ein Stück weit offener schreiben als im www. Ansonsten sind für die allgemeine Öffentlichkeit die Mitarbeiter als Blogger interessanter, weil sich in ihren Personen die Anforderungen der Organisation nicht ganz so dramatisch zuspitzen wie bei den Sprechern an der Spitze.
Blogs können auch in Change-Management-Prozessen eingesetzt werden. Erfolg wird solchen Veränderungsprozessen besonders dann konstatiert, wenn die Beteiligten authentisch sind. Bietet sich der Blog also als Instrument hier nicht geradezu an für eine Führungskraft? Vorteile bietet er als Pull-Medium (die Aktivität muss vom Leser ausgehen – seine Mailbox wird nicht noch weiter gefüllt). Und ein Blog ist schnell: Informieren ist eine zentrale Aufgabe von CM-Managern. Hier unterstützt der Blog den Prozess. Ein Trugschluss wäre es aber, wenn der bloggende Manager auf die Authentizität qua Medium setzt: Vertrauen stellt sich nicht automatisch ein, nur weil der Entscheidungsträger jetzt im CM-Prozess bloggt. Wenn niemand der betroffenen Mitarbeiter im Blog mitschreibt und kommentiert, dann ist kein Feedback eben auch ein Feedback. Ob man also den Blog als Lackmustest des Vertrauens im Change-Prozess einsetzt, sollte gut überlegt sein. Chancen auf die konstruktive Unterstützung dieses Prozesses hat ein Blog da, wo Authentizität schon vorher zu den integralen Bestandteilen der Unternehmenskultur gehört. Gleichwohl darf man nicht vergessen, dass die Organisation den Führungskräften die genannten widersprüchlichen Kommunikationsaufgaben unverändert aufbürdet, auch im Change-Prozess. Auflösen lässt sich dieses Dilemma mit einem Blog nicht. Es sichtbar werden lassen, aber kann schon ein großer Schritt im angestrebten Verständigungsprozess, im Veränderungsprozess sein. Authentizität kann man auch gewinnen, wenn man die eigenen Kommunikationssperren offen legt.
Dr. Hermann Iding, Marketing- und Kommunikationsberatung
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>> Lesetipp: Ortmann, Günther (1996): Heuchelei, Bigotterie, Intrige. Eine Apologie, in: Volmerg, Birgit; Leithäuser, Thomas; Neuberger, Oswald; Ortmann, Günther und Burkhard Sievers: Nach allen Regeln der Kunst. Macht und Geschlecht in Organisationen. Kore. S.99-136.