Das Wall Street Journal befindet sich in finanzieller Not, weil die Anzeigenerlöse stark zurückgegangen sind. Schuld daran ist die neue Wettbewerbssituation, meint Marc Pitzke auf Spiegel Online. Denn die Kunden schalten ihre Anzeigen inzwischen lieber bei Yahoo, Google oder in lokalen Angeboten. Der Verlag Dow Jones & Co muss damit rechnen, dass die besten Zeiten für die zweitgrößte Zeitung der USA vorbei sind. Hierbei zitiert der Spiegel den Journalismusprofessor Adam Penenberg von der New York University: "Das 'Journal' droht, irrelevant zu werden."
Dabei hat das Wall Street Journal eine sehr gute Online-Präsenz, die allerdings nur für die derzeit 731.000 zahlenden Online-Abonnenten frei zugänglich ist. Mit ihrem Paid-Content-Angebot steht die Online-Zeitung jedoch in direkter Konkurrenz mit vielen frei verfügbaren US-Zeitungen, darunter auch die "New York Times". Paid Content ist eine wichtige Einnahmequelle für den Verlag geworden. Das wirkt sich auf die Wahrnehmung der Marke negativ aus, weil sie faktisch online kaum noch Aufmerksamkeit findet. Bei einer Online-Recherche fehlen Ergebnisse des Wall Street Journals. Kein Wunder, denn der Content wird hinter einer Paid-Content-Barriere verborgen gehalten. Aus diesem Grunde können Blogger auf die meisten WSJ-Artikel keine direkten Links setzen, was sich in der heutigen Aufmerksamkeitsökonomie sehr negativ auswirkt.
Bloggern kommt im redaktionellen Marketing eine immer bedeutendere Rolle zu, da sie in ihren Weblogs einzelne Artikel kommentieren und empfehlen. Darüber rücken immer mehr einzelne Artikel in den Fokus der Leser. Für den deutschsprachigen Raum gibt es bei Blogstats eine gute Übersicht über die meistverlinkten Nachrichten der letzten 24 Stunden.
Im November 2004 hatte das Wall Street Journal für einige Tage seine digitalen Pforten im Rahmen einer Promotion-Aktion geöffnet.Dadurch konnten alle Onliner das Content-Angebot der Dow Jones-Finanz-Site gratis testen, ohne dafür in irgendeiner Weise in Vorleistung gehen zu müssen. Ermöglicht wurde der kostenlose Zugang zum Paid Content-Angebot durch Sponsoren.
Die Bedeutung der Blogger hat der Dow Jones & Co somit früh erkannt und schon in einigen Bereich experimentiert. So bietet das Wall Street Journal jeden Tag einen freien Bericht an, den Blogger verlinken dürfen. Die WSJ-Macher haben durchaus erkannt, dass Promi-Blogger den Traffic auf ihrem Web-Angebot steigern und letztlich dafür werben können.
Bisher hielt ich das Wall Street Journal immer für ein gutes Beispiel dafür, dass Paid-Content-Strategien und die Einbindung von Bloggern kein Widerspruch sein müssen.
"WSJ.com faces particular challenges in attracting and fully exploiting link-directed readers, as it is largely a subscription-only site and many bloggers prefer not to link to articles that aren't openly accessible. It's interesting, then, that the Journal's has been among the most aggressive sites in recruiting blog traffic." (editor & publisher)
Immerhin hat das Wall Street Journal von seinem interaktiven Ansatz und einer gewissen Offenheit gegenüber innovativen Experimenten profitiert.
"So it's no surprise that many editors of newspaper Web sites are looking at how to effectively integrate blogs into their content offerings — and how to capitalize on the readership outside blogs often send to articles and features posted on newspaper sites." (editor & publisher)
Anscheinend reichte die bisherige Innovationsfreunde jedoch nicht aus, um in der sich rasant entwickelnden Aufmerksamkeitsökonomie mitzuhalten. In einer Zeit, in der die Online-Anzeigenumsätze wieder steigen und das klassische Anzeigengeschäft stagniert, stellt sich mir die Frage, ob ein absolut geschlossenes Online-Angebot im Zeitungsmarkt noch zeitgemäß ist.
>> Spiegel Online: "Wall Street Journal" in Not - Flaggschiff in der Flaute
>> PR Blogger: Verlage profitieren von der Blogger-Promotion - August 2004
>> editor & publisher: Newspaper 2.0: The Blog Revolution (Paid Content)
>> editor & publisher: Newspaper 2.0: The Blog Revolution -"Part
II: Taking better advantage of blog-directed traffic is all well and
good, but newspapers are looking to jump into the blogging game
themselves, too." (Paid Content)